Elke Hirschler - Die Entscheidung des Menschen

Elke Hirschler

Die Entscheidung des Menschen

180 x 90 / 1995-98

In der Mitte steht der Mensch. Er wird bestimmt durch das Materialistische (blaue Gestalten) und das Animalische (braune Gestalten). Er kann sich entscheiden zum Bösen (Höllenschlund rechts) oder zum Guten (himmlisches Jerusalem links). Alles wird durchdrungen vom Licht der Wahrheit, des Geistes, des Göttlichen (Strahlensonne).

Zwei vergrößerte Ausschnitte:

Elke Hirschler - Die Entscheidung des Menschen

Wenn Sie mehr zu dem Werk erfahren wollen, dann lesen Sie die folgende Predigt:

Predigt über Psalm 84, Vers 12

anhand des Antependiums “Die Entscheidung des Menschen”, von P. Cord Muckelberg am 20.Oktober 2002 in der Kapelle des LKH Hildesheim

Denn Gott der HERR ist Sonne und Schild; der HERR gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.

Liebe Gemeinde!

Heute habe ich Ihnen ein Bild mitgebracht, über das ich gerne mit Ihnen in diesem Gottesdienst nachdenken würde. Es ist das Altarparament aus „meiner“ früheren Kirche in Hodenhagen, KG Ahlden/Aller, ein in leuchtenden Farben gestickter Bildteppich. Es sind viele Kleinigkeiten auf dem Bild zu entdecken!

Was fällt Ihnen zuerst auf? Was gibt es hier zu sehen?

Die Sonne in der Mitte: Goldene Strahlen. Ein heller Glanz, der über das ganze Bild erstrahlt! Ein schönes Bild gerade in diesen nasskalten Herbsttagen! Von so einer starken und wärmenden Sonne haben wir gerade gesungen: „Gottes Liebe ist wie die Sonne!“

In die Mitte des Lebens gehört Gott mit seiner Kraft und Wärme, in die Mitte des Altarbehanges, in die Mitte der Kirche, in die Mitte des Glaubens, in die Mitte auch unseres Lebens. Alle Bereiche werden von diesem hellen Licht aus Gott umfangen und unterlegt. Alles Leben darf sich in diesem Kraftfeld tummeln. So wird alles sichtbar, gewinnt Raum und Gestalt.

Was sind das nur für merkwürdige Figuren unter Gottes Sonne? Fast parallel tauchen 3 Gruppen auf, links und rechts. Oben beidseitig eine schwere Menschenfigur. Sie hockt am Boden, die Hände untätig auf die Knie gestützt, die Schultern hochgezogen, den Kopf eingeknickt.

Hier erkenne ich langsam etwas von mir als Mensch wieder: So bin ich auch manchmal. Versunken im eigenen Ich, und verkrümmt in mir selbst, ohne Kontakt zur Welt. Lahm, müde, unentschlossen, vielleicht auch ratlos oder traurig. Das ist das statische Element in der Darstellung.

Fällt Ihnen der Kopf mit dem besonderen Gesicht auf? Ja, genau: Menschen hocken da mit zwei Gesichtern! Fühle mich gleich wieder ertappt: Auch ich habe gelegentlich zwei Gesichter, rede hier so und auf der anderen Seite dann so… Auch ich fühle mich manchmal gespalten: will etwas tun, was gut für mich und andere wäre, aber bekomme den Hintern nicht hoch, betreibe das Alte, Schädliche und verharre so in meiner Spaltung!

Und doch – im Sinne dieses Altarteppichs – bin ich, so wie ich gerade bin, vom hellen Licht der Liebe Gottes umflutet, das mir zeigt, wer ich bin, und das mich dennoch wärmt und einfach tröstet, wenn ich auch an mir selbst verzweifle!

Die andere Seite, gleich unter der depressiven abgebildet, finde ich natürlich auch in mir wieder: Ein drahtiges Tier auf dem Sprung: dynamisch, aggressiv, geschmeidig und schnell. Vielleicht scheint hier etwas von der manischen Seite auf, die mich hektisch aus der Mitte des Bildes herausspringen lässt. Die Flucht ins Dunkle, ins Versteck, nur raus aus dem hellen Licht, das mich aufdeckt. Da ist vieles, was dabei mein Gesicht verzerrt, den Blick stur nach unten senkt und mich scheinbar elegant aus allem Schlamassel rettet: Süchte, Zeitvergeudung, Eigensinn, Lüsternheiten und all das Triebhafte in mir, das mir so zu schaffen machen kann.

Und doch bin ich so, wie ich gerade bin, auch hier vom hellen Licht der Liebe Gottes umflutet, das mir zeigt, wer ich wirklich bin, und das mich dennoch wärmt und einfach tröstet, wenn ich auch an mir selbst verzweifle!

In dieser kleinen Kirche, einer ehemaligen Guts-Kapelle der Familie von Hodenberg, befinden sich oben im Altarraum alte mittelalterliche Wandmalereien: rechts eine Höllendarstellung mit Höllenschlund und Teufeln, links ein Bild vom goldenen Jerusalem, der paradiesischen Stadt, durch deren Tore die Erlösten schon in den Himmel einziehen.

Da brauchten die Kollegen seit dem 15. Jahrhundert bei ihren Predigten nur mahnend den Finger zu erheben, und sie konnten der Gemeinde sofort die Folgen verwerflicher oder guter Taten drastisch vor Augen führen.

Die Künstlerin hat diese Elemente aus der Tradition mit aufgenommen in diesem ganzjährig gezeigten Parament. Bewusst wird das Alte mit dem Neuen verknüpft. Links der Baum des Lebens und der Paradiesengel vor der himmlischen Stadt, ganz im Glanze des Lichtes; rechts der Höllendrache, in den die kleinen Teufelchen Menschen verfrachten.

Doch das alte Thema rückt hier in einen neuen Zusammenhang: Auf beiden Seiten scheint Gottes liebende Sonne! Gerade auch auf der dunklen! Und die schon beschriebenen Figuren finden sich ja auf beiden Seiten! Nichts ist schematisch festgelegt! Beide Seiten gehören zu dem einen ganzen Bild.

Für mich bedeutet das: Himmel und Hölle gehören beide zu mir, ich kenne immer schon etwas von beidem. Beide Seiten stehen mir in dieser Welt, in meinem Fühlen und Handeln zu Gebote. Vielleicht liegt es auch mit an mir, für welche Möglichkeit ich mich selbst entscheide und was sich dann bei mir schließlich durchsetzt?

Zur Linken oder zur Rechten: immer bleibe ich im Licht der Liebe und Gnade Gottes, die mir neues Leben schenken möchte!

Aber nicht nur die Sonne Gottes wartet auf mich in der Mitte dieses Bildes! Da ist auch noch groß und alles fast umarmend eine erhabene Gestalt im Licht: Grüne, fruchtbare Blätter bilden ihren Leib, ein lebendiger Organismus, der aus vielen einzelnen Elementen zusammen gesetzt ist, und der weit bis nach oben in den Himmel reicht. Wie zum Segen für die gespaltene Welt ragen weitgefächerte Arme empor!

Für mich ist das hier die Gemeinde Christi, die Gemeinschaft des Leibes Christi, die Vereinigung ganz vieler unterschiedlicher Menschen! Rot und auffällig schlägt mitten in dieser Gemeinde ein großes, starkes Herz: Jesus! Seine Liebe und sein Erbarmen sind der Mittelpunkt der Komposition! Sein Leben, Vorbild und Heil schenken der Gemeinde die Mitte und die Energie für ihre Aufgaben und ihren Stand in der noch vom Dunkel umgebenen Welt. Rötliche Liebesflammen durchziehen von dieser Mitte des Glaubens und der Hoffnung das Weltgeschehen – bis in alle Seiten und Abgründe hinein!

Links und rechts ganz außen sehe ich ein Stück der uns verheißenen Ewigkeit angedeutet. Nicht dem Nichts und dem Dunkel des Alls sind wir einmal preisgegeben! Nein, wenn tief im Herbst unseres Lebens unsere Lebensblätter welken und verweht werden, so behalten sie ganz die geprägte Form, die sie im Leib Christi, in der Gemeinde gehabt haben! Und: Vor dunklem Hintergrund, vor all den Nichtsen und Ängsten, leuchten diese Blätter immer noch ganz hell im Licht der Liebe Gottes, zu der sie ja von Anfang an ganz gehören. Sie gleiten und schweben in neue Räume, sind auf dem Weg in eine neue Welt mit neuen Formen und Farben.

Manchmal denke ich, es gibt hier auf dem Bild ganz oben schon kleine goldene Früchte, die ganz in und aus der Liebe und Nähe Gottes bei uns gewachsen sind, hier in seiner irdischen Gemeinde. Früchte des Lichtes und der Liebe, die einmal über unsere Zeit hinaus noch Bestand haben werden, wenn all das Andere, Gespaltene (und unendlich Ambivalente) längst Vergangenheit ist.

Bis dahin aber dürfen wir uns getrost an die Verheißungen des 84. Psalms halten, an den mich die goldene Gottessonne auf dem Hodenhagener Parament immer erinnert:

Gott der HERR ist Sonne und Schild; der HERR gibt Gnade und Ehre.
Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.

Amen.