Elke Hirschler - Gott hat mich wachsen lassen

Elke Hirschler

“Gott hat mich wachsen lassen im Lande meines Elends”

Antependium für die Kapelle des Landes-Krankenhauses in Hildesheim

Entwurf: P. Muckelberg + E. Hirschler
100 x 110 / 2003

Predigt zur Einweihung

Predigt von Pastor Cord Muckelberg

anlässlich der Einweihung und Segnung des Antependiums für die Kapelle des Landes-Krankenhauses Hildesheim am 30. November 2003.

Liebe Gemeinde am 1. Advent!

Mit diesem Sonntag beginnt das neue Kirchenjahr; mit der Vorbereitung auf Weihnachten, dem Weg der Adventszeit und der Vorfreude auf die neue Geburt Gottes in dieser dunklen Welt fängt der Festkreis der Kirche neu an. „Macht hoch die Tür…!”

Ein guter Zeitpunkt, um auch hier im LKH etwas Neues einziehen zu lassen und vorzustellen: das neue Altarparament, das in Zukunft in unserem Andachtsraum im Gottesdienst die Blicke auf sich ziehen wird.

Frau Elke Hirschler, die es über ein Jahr hin vorbereitet, Stunde um Stunde gestickt und uns geschenkt hat, hat ja schon ihre erhellenden Erläuterungen dazu gegeben. Herzlichen Dank!!

Wir haben uns bei diesem Entwurf für eindeutige Formen und Bilder und für ein klares Wort aus der Bibel entschieden. Jeder kann so in Ruhe diesen Altarbehang mit den Farben und Symbolen auf sich wirken lassen. Jeder soll die Augen wandern lassen. Jeder ist eingeladen, vielleicht sich und auch ein Stück seiner eigenen Geschichte hier wieder zu finden.

Das Leben, gerade für Menschen hier im Haus, ist oft voller Kontraste und Gegensätze. Auf und Ab, Hell und Dunkel, gerade und gebogene Linien wechseln sich schnell ab.

Nehmen wir uns Zeit, um gemeinsam etwas genauer hinzusehen: Von außen bestimmen dunkle Töne das Bild, tiefstes Blau im Hinter-, ja vielleicht, Abgrund. Eine kalte, mächtige Fläche. Die Farbe der Nacht, der Verlorenheit, der Einsamkeit und des stillen Schmerzes…. Welch ein Hintergrund für ein hier hell aufstrahlendes Wort, für etwas ganz neues, das da eingebettet uns begegnen will! Worte aus dem ersten Buch der Bibel scheinen klar und deutlich auf! Mehr dazu gleich.

Jetzt zuerst zur mächtigen Mitte: Da geht es um das Gegenüber und das Ineinander von Oben und Unten. Zwei parabelartige Linien teilen den Raum, sie begegnen einander, schneiden sich, bilden einen neuen Raum im Zentrum als eine Teilmenge. Von unten ein fast runder Bogen: Erdfarben, schwer, tief, gedeckte Stimmung, aber auch ein sich Ausstrecken und Wölben nach Oben zu helleren Schichten, zum neuen Licht. Grün- und Brauntöne lassen an das jahreszeitliche und lebensgeschichtliche Werden und Vergehen auf der Erde denken. Auffällig klafft in diesem Kreislauf des alltäglichen Lebens wie ein Blitzeinschlag ein tiefer, blutiger Riss. Die Erde, das Leben kennt viele Wunden und Verletzungen; ein Zeichen für all die Schmerzen, die Menschen in einem Leben zugemutet werden. Ein dunkelroter Pfeil von Leid und Schmerz und Schuld, der die satten Erdfarben aufbricht. Vielleicht auch eine Erinnerung an das Leiden Gottes an seiner Welt, wie es uns im Kreuz Christi sichtbar auf jedem Altar mit dem Kruzifix vor Augen steht.

Doch in aller Gefahr und Schwere ist die Welt nicht hilflos sich selbst überlassen und nicht hoffnungslos belassen. Eine Parabellinie von ganz anderer Gestalt und Farbe bricht mitten auf diese angeschlagene Erde ein, kommt von oben mit ihrem goldnen Licht und neuem Glanz! Wie die Sonne, die immer wieder neues Leben und Wachstum erblühen lässt auf Erden, kommt hier eine heilende Kraft herab, deren Zentrum und Quelle allerdings geheimnisvoll außerhalb unseres Blickes bleiben muss.

Strahlend schön dann in der Mitte des Lichtes und des Bildes: Die rote Rose, die auf dieser Erde tief verwurzelt und empor gewachsen ist und sich nun im hellen, warmen Licht dankbar entfaltet. Für mich ist das mehr als eine heimatliche Hildesheimer Rose, es ist hier die Rose der Liebe Gottes zu seiner Welt und zu allen seinen Geschöpfen! Die Rose auch der neuen Welt Gottes, die Botin und das Zeichen von Gottes Reich, einem Leben ohne Leid und Schmerz und Tod. Die ewige Rose der Liebe Gottes, hier schon ganz ohne alle Dornen! Und: Die Rose: Das Ebenbild Gottes – nach dem und auf das hin auch ich geschaffen bin! Auch meine und deine Schönheit als Geschöpf wird hier sichtbar im Licht der Liebe!

Doch dies Licht der Liebe deckt nicht alles Dunkle auf der Erde zu; im Gegenteil: Gerade in diesem Glanz wird jede schroffe Kante und jeder Abgrund sichtbar. Dies Licht Gottes leuchtet alle Wunden bis in die Tiefe hinein aus, um sie anzunehmen und zu heilen. Der hässliche Riss bleibt neben der schönen Blume sichtbar!

Nichts muss und brauche ich vor der Liebe Gottes schamhaft zu verstecken oder zuzudecken. Keine Wunde und keine Schuld. Nur die Verletzungen, die ich in diesem Licht anschauen und annehmen lerne, können mit Gottes Hilfe heilen!

Mit jeder Erdschicht, die der rote Riss bis nach unten hin die Welt und auch mein Leben durchdringt, kommt mir neu das Kreuz Jesu in den Sinn, das Urbild geheilten und erlösten Lebens, das Zeichen des kommenden Neuanfangs und wieder Aufstehens!

So wird im Licht der Zuwendung Gottes das Land des Elends und der Krise zum Ort für den befreienden Neuanfang. Stätte des Wachstums und der Reifung. Jeder Gottesdienst, in dem dies neue Parament nun seinen mitgestaltenden Dienst tut, möge dies deutlich weitersagen: Gott will das Heil und nicht das Unheil! Gottes gnädiger Wille ist der des Schaloms, des unbedingten, geschenkten Friedens unter den Menschen, des Friedens mit mir selbst und des Friedens mit Gott. Wo diese Liebe und dieser Schalom hineinstrahlen, da wird das Leben neu geachtet, erkämpft und gewonnen, selbst am Ort des Elends, der Fremdheit und gerade auch über allen dunklen Abgründen, scharfen Brüchen und abreißenden Kanten des Lebens!

Der jüdische Urvater Joseph, der im AT, nach dem 1. Buch Mose, aus seiner Heimat Israel – wegen des Neides und der Missgunst seiner Geschwister – gewaltsam als Sklave nach Ägypten verkauft wurde, hat in der Fremde mit Gottes Hilfe Verleugnung und Gefängnis überlebt und sogar zuletzt als höchster Hofbeamter des Pharaos neu und erfolgreich Fuß gefasst. Im Rückblick auf sein schwieriges Geschick gab er seinem 2. Sohn den Namen Ephraim, d.h. übersetzt: „Gott hat mich wachsen lassen in dem Lande meines Elends” (Kp 41, 52).

Gottes ewige Rose der bedingungslosen Liebe und der neuen versöhnten Welt findet gewiss in jedem Herzen den Grund zum Wurzeln und Wachsen und Blühen!

Joseph hat, wie viele fromme Menschen nach ihm, die Vertrauen und Leben schaffende Erfahrung gemacht: „Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade!” Wenn nach menschlichem Ermessen das Leben gescheitert, sinnlos und verloren erscheint, dann kommt von Gott ein ganz neues Licht her, welches Überleben, ja Wachstum und Reife, Blüte und Frucht, uns neu schenken will!

Wohl jeder hat ein größeres oder kleineres Stück vom Land des Elends und dieser Fremde in sich, tief im eigenen Herzen: schon durchlittene Durststrecken oder bislang noch gefürchtete, gemiedene Wüstenorte. Jeder erkennt im Laufe eines bewegten Lebens mehr oder weniger seine eigenen Abgründe und Schwächen. Keiner kann zukünftig auf ihn lauernde Gefahren ganz ausschließen.

Möge er, möge sie, mögen wir alle den Mut zum vertrauensvollen Weitergehen und die Kraft zur Hoffnung im Singen und Beten vor diesem Altarbehang neu finden! Mut und Kraft werde uns immer wieder geschenkt, um das Wüste, Fremde und Elende auf unserem Weg mit Gottes Hilfe auszuhalten, ja noch mehr, das Schwierige und Traurige Gott und seinem Licht der Liebe hinzuhalten und anzuvertrauen!

AMEN.

1. Buch Mose, Kapitel 41: Die Geburt seiner Söhne

50 Und Josef wurden zwei Söhne geboren, bevor die Hungerzeit kam; die gebar ihm Asenat, die Tochter Potiferas, des Priesters zu On.

51 Und er nannte den ersten Manasse; denn Gott, sprach er, hat mich vergessen lassen all mein Unglück und mein ganzes Vaterhaus.

52 Den andern nannte er Ephraim; denn Gott, sprach er, hat mich wachsen lassen in dem Lande meines Elends.

Gedanken einer Studentin

Gedanken einer Theologie-Studentin

Lieber Cord!

Nun hat mich das Antependium doch nicht in Ruhe gelassen. Ich hab mir in der gestrigen schlaflosen Nacht mal so meine Gedanken darüber gemacht. Ich habe sie absichtlich nicht noch einmal geordnet. Du liest meine Gedanken, so wie sie mir kamen.

Der sich im Vordergrund befindliche Hügel in den zuerst rötlichen und braunen Farbtönen steht meines Erachtens nach für den Erdboden. Ich verbinde damit die menschliche Herkunft, unseren Ursprung und aufgrund der verschiedenen Schichten auch unsere Erlebnisse, also unsere Vergangenheit.

Je weiter sich der Hügel nach oben erstreckt, der Mensch heranwächst und reift, desto grüner werden die Schichten, welche den Hügel formen. Grün, dass ist für mich die Farbe der Hoffnung, des neuen Lebens. Man bedenke die Farben des Frühlings, das satte Grün nach einem langen Winter. Genau wie die Pflanzen jedes Jahr neu ihren Mutterboden brauchen, so kann sich auch der Mensch nicht seiner Herkunft, seiner Basis entziehen; das Leben mit all seinen negativen und positiven Erfahrungen kann nicht ausgetauscht und erneuert werden.

Der Hügel ist in einem dunkelblauen Hintergrund eingebettet. Er steht für sich allein. Vielleicht ein Zeichen für die Verlassenheit, die Mutlosigkeit und der Verzweiflung eines Menschen. Es scheint kein Licht und keine Hoffnung mehr zu geben. Wie die Pflanze das Licht zum Wachsen braucht, benötigt auch der Mensch die Hoffnung für sein Leben. Ohne Perspektiven, die ihn am Leben halten und neue Wege gehen lassen, scheint er in dieser unendlichen Leere verloren. Ich denke, auch der Gedanke an einen Gott, der es gut mit uns meint und uns in seiner Hand hält, ist für einen Menschen in solch einer seelischen Not wohl erst einmal sehr abwegig.

Wenn ich mir jetzt diesen grell-roten Pfeil ansehe, dann kommen mir die Gedanken an all die Verletzungen im Leben. Sie kratzen nicht nur an der Oberfläche, sondern reichen tief bis an den Grund der Existenz. Manche Verletzungen zwängen uns so ein, dass wir nicht mehr frei sein können. Ein normaler Umgang mit unserer Umwelt scheint nicht mehr möglich. Wir können uns nicht mehr selbst heilen, und der Schmerz ist so groß, dass wir uns in diesem Umfeld der Ohnmacht, der Einsamkeit und der Mutlosigkeit nicht mehr spüren können.

Doch jetzt in diesem Moment der tiefen Verzweiflung wird der Hügel von warmen, goldenen Strahlen berührt. Es erblüht eine Rose, deren Blüte in einem kraftvollen Rot erscheint. Das Rot und auch die Rose sind Symbol für die Liebe. Diese wiederum steht im Kontrast zu der Ohnmacht und Verzweiflung. Die Strahlen machen die Gegenwart Gottes nur all zu deutlich. Der Mensch, in seiner Seelennot ganz klein geworden, kauert nun demütig vor dem Angesicht Gottes und wird durch seine Liebe und Gnade erhoben und gestärkt. Das bedeutet nicht, dass all die Verletzungen, die Schmerzen beseitigt werden. Gott hilft uns, sie zu ertragen; wir können durch ihn unser Leben neu betrachten. Zu unserem Sein gehört auch die Vergangenheit.

Gott lässt uns im Lande unseres Elends wachsen. Gott ermöglicht es uns, den Blick neu auf das Kreuz zu richten, an dem Jesus Christus für uns gestorben ist und die Schmerzen, ja auch den Tod, für uns überwunden hat.

So, das war’s! Es gibt wohl noch vieles, was sich dazu sagen lässt. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto spannender und ergreifender wirkt es auf mich.

Jessica Jähnert, Göttingen, Stud. theol. 1. Sem. 2003.