Elke Hirschler - Vier Antependien für das Lesepult

„Du in mir – ich in Dir“

Elke Hirschler - Vier Antependien für das Lesepult

„Gott ist genug“

Elke Hirschler - Vier Antependien für das Lesepult

„Ich bin, was ich tue!“

Elke Hirschler - Vier Antependien für das Lesepult

„Gott ist die Liebe“

Elke Hirschler

Vier Antependien für das Lesepult

35,5 x 47

Es wurde eine Art Vermächtnis des von Hodenhagen scheidenden Pastors: Bei einem unfreiwilligen mehrtägigen Aufenthalt in der MH Hannover entstanden in den Stunden des Wartens seine Entwürfe zu diesen vier Antependien, die Elke Hirschler dann für das neue Lesepult gestickt hat.

Eine Vorrede von Pastor Muckelberg zu allen vier Antependien

Über die vier Antependien für das Lesepult

Cord Muckelberg. Hildesheim / Hodenhagen am Sonntag Estomihi, 10. Februar 2002

Die vier an den liturgischen Farben des Kirchenjahres orientierten Paramente für das neue Lesepult in der Thomas und Maria Kirche zu Hodenhagen gehen auf Skizzen zurück, die ich im Frühling 2000 während eines Krankenhausaufenthaltes gemacht habe. Angeregt hat mich dazu u. a. die theologisch spannende Lektüre des Hauptwerkes von Dorothee Sölle: Mystik und Widerstand. Du stilles Geschrei. Hamburg 1997.

Graphisch ausgestaltet zu stickbaren Vorlagen, farblich festgelegt und schließlich auch gestickt wurden die (vom Kirchenvorstand im Sommer 2000 genehmigten) Entwürfe dann von Elke Hirschler; die Typographie verdanken wir ihrem Mann Hans-Jürgen Hirschler.

Für die Hirschlers ist die lange Zeit der Arbeit an diesen Paramenten eine sehr prägende und einschneidende gewesen. Das Sticken daran fällt in die Zeit der Krebserkrankung von Frau Hirschler. Sie ging aber erst ins Krankenhaus zur notwendigen Operation, als die Stücke fertig gestickt waren. Genäht und gefasst hat sie sie dann während ihrer langsamen Genesung im Herbst 2001. Was da alles mit eingestickt ist an Gefühlen und Gebeten, können Außenstehende wohl nur schwer ermessen. Vielleicht könnte deshalb Frau Hirschler viel besser als ich die Bilder hier auslegen und erklären.

Diese Arbeit ist im mehrfachen Wortsinn unbezahlbar – darum wird sie heute als Spende der Gemeinde übergeben.

Frau Hirschler arbeitet im alten, arbeitsaufwendigen Wienhäuser Klosterstich, der durch seine besondere Dichte den Behängen ihre einzigartige Oberflächenstruktur und Wertigkeit gibt.

Interessant ist auch der Untergrund der Stickerei: altes antiquarisch erworbenes Bügelleinen. Das sind Leinenbahnen, die früher um die Bügelware gelegt wurden, damit diese geschont wurde in der Mangel. Manch kleine Löcher und Abriebstellen künden von der druckvollen Geschichte des Materials, rückwärtig noch etwas zu sehen! Wie eine kleine Auferstehung ist das für mich: Ausgedient und weggelegt, zerschunden und verbraucht kommt dieses alte Leinen jetzt zu neuer Aufgabe und schöner Gestalt – von den alten mangelhaften Stellen ist nichts mehr zu sehen!

Was für eine Verwandlung!

Mögen die neuen Paramente in meiner „alten“ Gemeinde gerne gesehen und beachtet werden, und mögen sie manche Predigt hier bildlich unterstützen oder ergänzen oder eventuell auch konterkarieren.

Pastor Muckelbergs Gedanken zu den jeweiligen Entwürfen

„Du in mir - ich in Dir“

Das Motto: Ein Gebetsruf aus alter christlich-mystischer Tradition (Autor unbek.)

Weiß ist die Farbe des Festes, der Freude und des ewigen Lichtes. Aber auch der Unschuld und des Neubeginns. Weiße Kleider tragen die Bräute zur Trauung und die kleinen Täuflinge zur Taufe, weiße Kerzen schmücken festlich unseren Altar. Heller Glanz kündet von der Nähe und Liebe Gottes auf Erden und in unserem Leben. Da ist es nicht verwunderlich, wenn das weiße Parament zu den großen kirchlichen Feiertagen gehört: zu Weihnachten, über die Jahreswende bis zum 6. Januar, dem Epiphaniasfest, dem alten (orthodoxen) Weihnachtstermin, auch am Gründonnerstag, dem Tag der Einsetzung des Heiligen Abendmahles, dem Vorgeschmack des Himmels, durch den scheidenden Jesus, dann in der ganzen Osterzeit natürlich bis zum Sonntag Exaudi, wieder am Trinitatisfest, aber auch an Johanni und Michaelis, sowie am Ewigkeitssonntag, der liturgisch viel mehr ist als nur ein Totengedenken.

Die Freude über Gottes Nähe findet an den Festen der Kirche Ausdruck in großem Lobpreis, Gesang und reichhaltigen Gottesdienstformen. Aber Beter in vielen kirchlichen Traditionen haben daneben auch immer wieder die persönliche Andacht in der Stille gesucht, um Gott zu begegnen. Namen wie Meister Eckhart, Tauler, Johannes vom Kreuz oder auch Teerstegen (s. EG Nr. 165, 5) fallen mir dazu ein. Die Erneuerung, die Umkehr, das Spüren von Gottes Gegenwart sind gottesdienstliche Anliegen, die aber auch persönlich weiterentwickelt werden möchten in einem eigenen Frömmigkeitsstil, um dann in der Gemeinschaft der Liturgie festlich zusammen zu fließen, um sich gegenseitig zu bestärken.

Der alte Meditationssatz „Du in mir – ich in Dir“, langsam laut oder nur innerlich gebetet, eingepasst in das ruhige Ein- und Ausatmen, ist die sehnsuchtsvolle Bitte an Gott, er möge meinen Leib als seinen Tempel bewohnen und im Gegenzug mich mitnehmen in seine alles umfassende ewige Seele. In steter Wiederholung breitet sich mit einiger Übung eine tiefe Stille und Geborgenheit kraft solchen Betens aus. Der Lärm meiner Gedanken kann langsam verstummen, und ich schaffe in meinem Herzen Raum: für Gott und sein Wort. Wenn wir vor dem Gottesdienst zeitig genug in der Kirche ankommen, hilft uns diese Weise der Meditation gut, uns von Herzen zu öffnen für das „Ganz Andere“, das von Gott her immer neu zu uns kommen möchte. Teerstegen: „Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten… Gott ist in der Mitte, alles in uns schweige…“ (EG 165,1).

Auf dem weißen Festtagsparament sehen wir das goldene Herz. Symbol für die Mitte und Seele, die mit sich im Einklang ist, sich öffnet und weit über sich hinausleuchtet. Gottes Herz, mein Herz. Eins im anderen. Dies Herz bleibt aber auf Dauer nicht für sich allein in der Stille, sondern die zarten Flammen der Liebe brechen hervor und heben an, dunkle Wolken zu verzehren, die sich zwischen mich und Gott geschoben haben oder die zwischen mir und meinem Nächsten stehen. Alles wird frei und neu aus der Kraft Gottes, aus seiner Liebe und Nähe. Gottes Herz schlägt für uns, sichtbar im Kind in der Krippe, wie am offenen Grab in der klaren Ostersonne. Mein Herz darf das neue Leben mitfeiern und sich mit seinem eigenen Rhythmus da getrost hinein finden.

Auch eine alttestamentliche Deutung der Symbolik liegt natürlich nahe: Gottes Nähe offenbart sich Mose am brennenden Dornbusch, er zeigt sein großes Herz für sein Volk in Bedrängnis. Er lässt es auferstehen aus der ägyptischen Gefangenschaft und führt es in ein neues Leben. Und weil der Weg oft lang und gefahrenvoll ist, begleitet er es unterwegs in der Wüste mit seinem Gebot und Segen. Seine befreiende und bewahrende Hand erscheint am Tage in der voranziehenden Wolke und des Nachts in einer Feuersäule.

Unser Leben sei ein Fest: Gott ist da. Gott geht mit. Er in mir, ich in Ihm. Gott will eins mit uns werden, in der Stille des Herzens, wie im Herzen der Gemeinde: im Gottesdienst.

„Gott ist genug“

Motto: Teresa von Avila (1515 – 1582): „Solo dios basta!“

Rot als Farbe der Liebe ist die festliche Farbe der Kirche. Zu Pfingsten, Reformationstag, Konfirmation und verschiedenen Bittagen für die Kirche und den Frieden in der Welt. Gottes Liebe, sein Gestalt gewordener, heilsamer Segen wird gefeiert und will stets neu erbeten und vertrauensvoll zugesprochen sein.

Gott als barmherziger Herr seiner Kirche schenkt in Christus selbst das voll genügsame Maß für seine Gemeinde. Er ist ihr Ursprung und bleibt ihr Ziel. Sein Wort, dies Leben stiftende „Ja“, ist die Mitte und der Grund allen kirchlichen Redens und Handelns. Mehr als Gott brauchen wir nicht, bekommen wir nicht; in ihm und aus ihm findet die Gemeinde Fülle und Genüge für dankbare und auch für schwere Tage. Oder mit alttestamentlichen Worten: Der Herr ist mein Hirte – mir wird nichts mangeln… (Ps. 23)

Der weise Schweizer Einsiedler Nikolaus von Flüe (1417 – 1582) schaute Christus einst in der Vision eines hell leuchtenden Rades. Gott offenbarte sich ihm in der Form eines fließenden, strömenden Lichtkreises. Der Kreis symbolisiert von alters her die Vollkommenheit und ewige Genüge Gottes, ohne Anfang und Ende.

Die Vision erschrickt ihn sehr und wirft ihn völlig zu Boden, sie verändert sein ganzes Aussehen und Denken und Fühlen. Im Nachsinnen und Meditieren gewinnt in ihm langsam das göttliche Licht als das Angesicht Christi klarere Formen.

In seiner Klause ließ er dann ein Gott-Jesus-Gesicht an die Wand malen im Zentrum eines Kreises. Von dieser Mitte des Seins und der Welt gehen zwei mal drei Strahlen je aus und ein. Gott fließt in die Welt aus und die Welt strömt wieder in ihn ein, so wie der tragende Atem unseres ganzen Lebens. Alles ist in und aus Gott. Auf dem dann später immer umfangreicher gewordenen Meditationsbild gehen von der göttlichen Mitte je ein Strahl aus vom Auge, vom Ohr und vom Mund. D.h.: Die Liebe Gottes in Christus lässt sich geschichtlich tief ein und nimmt die Welt leibhaftig wahr im Sehen, Hören und Antworten! Gott hört den Klang seiner Schöpfung, sieht Leid und Schmerz in der Welt und antwortet berührt mit seinem versöhnenden, rufenden Wort. Diese Grundwirkungen des göttlichen Wesens werden zentral sichtbar in Schöpfung, Passion und Verkündigung.

Sie wollen dann in der dreifachen Gegenbewegung die Menschen in seinem Geist und Tun zurückbringen zu ihm und seiner (und d.h. ihrer!) Mitte: die drei anderen Strahlen führen uns also zurück ins lichte Zentrum und kommen, in der erweiterten bildlichen Form, aus den Darstellungen der Geburt Jesu, seiner Verhaftung im Garten Gethsemane und aus einer (schon gottesdienstlichen) Abendmahlsszene. Die umfassende Bewegung Gottes in die Welt hinein möchte Glauben und Vertrauen wecken und wartet auf Resonanz; Bruder Klaus weist mit seinem Meditationsbild aber auch darauf hin, dass dieser mystische Weg Gottes auf das Ja der Menschen angewiesen ist, wenn das Bild rund und fließend bleiben soll! Christi Geburt braucht zuvor die Einwilligung der Maria. Golgatha gibt es nicht ohne den Kampf Jesu in Gethsemane, und die versöhnende Gemeinschaft im Heiligen Abendmahl bedarf bis heute immer neu meiner nach dem „Für Dich gegeben!“ ausgestreckten Hand, damit mein Leben in den Strom der Liebe und Genüge Gottes gerät!

Das Meditationsbild des Bruder Klaus hat noch viele weitere Schichten. Dies zentrale Radmandala aus alter christlich-mystischer Tradition hier möchte uns gerade an den Festen unserer Kirche einladen, neu nach der Mitte unseres Gemeindelebens zu fragen:

Jesus Christus, das fleischgewordene Ja der Liebe Gottes, in der alles beginnt und endet, war und ist und sein wird. Da ist genug und Genüge für alles und alle! Ja: „Solo dios basta!”

„Ich bin, was ich tue!“

C. S. Lewis (gest.1963): „I am what I do!“

Grün ist die Farbe der „normalen“, fast alltäglichen Sonntage im Kirchenjahr: In der langen Trinitatiszeit vom Sommer bis in den Herbst. Aber auch die weihnachtlich geprägte Epiphaniaszeit und die Wochen der Vorfasten gehören unter diese liturgische Paramentsfarbe. Und Grün ist eine positive Farbe, symbolisiert die Hoffnung und das Wachstum! Dinge, die das ganze Jahr über für unser Leben als Christen wichtig und nötig sind. Unter dieser Farbe wird uns Gottes Wort für die Wechselfälle des Lebens und in großer Themenbreite ermutigend und herausfordernd verkündet. Gott gehört eben nicht nur zum Sonntag, sondern gerade auch in den Alltag unsere Existenz. Deshalb liegt bei dieser Inschrift der Schwerpunkt auf dem christlichen Handeln vor und in Gott.

Prof. Lewis war Literaturwissenschaftler in Cambridge, Roman- und Kinderbuchautor. Er wurde mit 58 Jahren von Gottes Gegenwart im Alltag völlig überrascht und ergriffen: „Gott holte mich ein“, sagte er – und ließ sich taufen. Er erlebte: Gott bricht ein in mein selbstgezimmertes Gefängnis, vor Ihm fallen alle Masken und alte Hüllen! In seinem christlichen „coming out“ erlebte Lewis befreiend, dass er sein altes Ich verlassen kann, Gott ihn ganz und neu macht. Diese große Freiheit wird für ihn dann vor allem in der praktischen Übereinstimmung von Sein und Handeln sichtbar: „Ein Mensch ist am freiesten, wenn er, statt Motive vorzubringen, nur sagen kann: Ich bin, was ich tue.“ Bei Gott ist der Mensch ganz bei sich selber. Im Glauben, in großer Nüchternheit und Gelassenheit, erfahren Menschen ihre Ganzheit im Hier und Heute.

So ist dies radikale Wort in keinem Fall richtend oder beschwerend zu verstehen; es geht kein Stück zurück hinter Luthers Rechtfertigungslehre, sondern liegt ganz auf seiner reformatorischen Linie (Freiheit eines Christenmenschen, zugleich Sünder und Gerechter zu sein, unser Sein ist im Werden, usw.) Gottes Liebe verurteilt uns nicht, legt uns nicht fest auf unsere Ferne zu ihm und uns selbst. Gottes Vergebung holt uns oft ein und lässt uns neu der oder die sein, den/die er so einmalig gewollt und geschaffen hat! Die Rechtfertigung des Sünders aus Gnade ist ja gerade die Befreiung zum neuen eins sein mit Gott und der Welt in den konkreten Vollzügen des Alltags.

Wie oft sind wir eben nicht bei Gott und uns selbst: wir essen z.B. so nebenbei, beim Arbeiten oder Fernsehen; wir reden mit jemandem und sind in Gedanken schon wieder beim nächsten. Und wenn wir mal in der Kirche sitzen, wandern unsere Gedanken auch … Wir verlieren leicht unsere Gegenwart und damit uns, unsere Mitte und unsere Kraft. Das ist gut, über einen langen Zeitraum immer wieder zu hören und zu üben: eins und ganz (altes Wort dafür: fromm!) zu sein. Ich bin mein Gebet. Ich bin meine Arbeit. Ich bin mein Kummer. Ich bin meine Freude… usw. Ich bin meine Zeit! Ungeteilt vor und in Gott sind wir, was wir sind: Eine geliebte Liebende, ein geliebter Liebender!

Wer wir wirklich sind und was wir als Christen und von Gott Eingeholte deshalb zu hoffen und nicht zu befürchten haben, erzählen die Bilder des Behanges: Wasserkrug und Fackel. Manches fällt dazu ein!

Das Wasser der Taufe, der Reinigung, des Neuanfangs mitten im Alltag. In alttestamentlicher Zeit goss man Wasser auf die staubigen Straßen als Zeichen der Buße und Umkehr! Wasser, das Zeichen des Lebens und die Vorraussetzung für alles Wachsen und Reifen. Vielleicht ist hier aber auch einer der Wasserkrüge zu sehen, aus denen Jesus auf der Hochzeit zu Kana wundervollen Wein ausschenken ließ als Vorgeschmack auf sein Reich?

Die Fackel: Feuer läutert, reinigt, klärt die Dinge, die Bestand haben sollen. Und: Feuer ist seit Pfingsten das Symbol für die begeisternde Kraft des Heiligen Geistes! Zeichen der weltweiten Verständigung und urchristlichen Vollmacht der Kirche. Feuer ist aber auch gefährlich, kann zerstören und in Asche legen, an den Nullpunkt führen! Feuer aber, wohl gehütet, wärmt und leuchtet auch in der Nacht des Zweifels und der Anfechtung, und sein Schein zeigt uns auch unseren Schatten und die dunklen Seiten unseres Handelns und Seins.

Martin Buber, der große jüdische Religionsphilosoph, erzählt dazu noch eine ganz andere Geschichte, die gut zur Unterschrift vom Sein im gegenwärtigen Tun, und die auch gut hier zu unseren Deckenbildern vom himmlischen Jerusalem und dem Höllenschlund gegenüber, passt:

Die Heilige von Basra, eine Prophetin und Mystikerin (713 – 801), rennt laut rufend durch ihre moslemisch geprägte Heimatstadt: „Ich will Feuer ans Paradies legen und Wasser in die Hölle gießen, damit diese beiden Schleier verschwinden und es deutlich wird, wer Gott aus Liebe, und nicht aus Höllenfurcht oder aus Hoffnung aufs Paradies anbetet!“

Wer also sein Sein in seinem Handeln gegenwärtig lebt und verantwortet, der braucht nichts mehr aus Angst oder Zwang zu tun. Schon gar nicht kann ich meinen Glauben und Gottes Gegenwart im Gottesdienst feiern, wenn ich nicht ganz unverzweckt dabei bin, sondern alles im Grunde nur aus Angst vor Strafe oder aus Spekulation auf eine ferne Belohnung tue! Gott möchte gedient und geliebt werden nur um seiner selbst willen! Ganz so wie er auch uns liebt und uns hilft: um unserer selbst willen, bedingungslos, gnädig, barmherzig! Die Liebe ist immer ein Kind der Freiheit: Keine Macht, keine Institution kann sie befehlen, kein Mensch und kein Gott kann sie einfordern!

Wo Gottesdienst in dieser ungeschuldeten Freiheit gefeiert wird, enden alle fundamentalistischen und autoritären religiösen Systeme, die soviel Not und Unheil anrichten bis heute.

Ich bin, was ich tue. Tricks und Berechnung, Machtgelüst und Druck vertreiben mich aus der lebendigen Gegenwart des Gottes, der die Liebe ist und meine Liebe möchte! Und wer lernt, interesselos zu lieben, der ist Liebe und der ist in Gott.

„Gott ist die Liebe“

Motto: 1. Johannesbrief, Kapitel 4, Vers 16

Violett, die Mischfarbe aus rot und blau: Die Liebe (rot) bewahrt ihre Treue (blau) auch im Leiden. „ Lila – der letzte Versuch!“ sagte mal eine launige Redensart. Ja: Gott geht mit seiner Welt bis an den Rand und an die Grenze, ja noch darüber hinaus! Er lässt nichts unversucht, um uns, die wir so oft drohen verloren und in die Irre zu gehen, zu erreichen, uns nahe zu sein, uns zu retten. Gottes unverstandene Allmacht kommt unter diesem violetten Schein, auf dem Weg zu Krippe und Kreuz, unter die Räder der Welt und beweist sich doch gerade da neu – in aller Ohnmacht. Denn gerade da ist sie stark, die Liebe: in der Hingabe, im Loslassen, um wieder neu anzufangen!

Unter der Farbe violett bereitet sich deshalb die Kirche alljährlich vor, den Tod zu leben, d.h. bewusst zu leben, um zu sterben und einmal zu sterben, um zu leben. Violett ist die liturgische Farbe der Umkehr, der Buße, des Verzichtens und des Fastens, um sich Gott und seinem Kommen neu hinzuwenden, um sich so auf das schon verheißene neue Licht und Leben innerlich und äußerlich vorzubereiten, das mit Weihnachten und Ostern kommt. Ich meine natürlich die Advents- und Passionszeit, sowie den leider gesellschaftlich stark an den Rand gedrängten Buß- und Bettag!

Wenn wir Gottes Advent, sein Kommen ins Dunkel und als Ende der Zeit, bedenken, und wenn wir uns in die Leidensgeschichte Jesu, in seine Passion, mit hinein nehmen lassen, dann halten wir das eigentlich nur aus, wenn wir in all dem Unfassbaren, damals, heute und wohl auch in Zukunft, auf Gottes wesenhafte Liebe vertrauen! Darum die neutestamentliche Grundvergewisserung: „Gott ist die Liebe“ – sie ist gerade in diesen langen Kirchenjahres-Abschnitten nötig.

Die verwandten Symbole reden deshalb deutlich von der Kraft der Liebe in aller Not und Ohnmacht. Ketten zerspringen, die Bande des Todes halten uns Christen nicht auf ewig gefangen. Auch all die kleinen sichtbaren und unsichtbaren Ketten sind nicht unsere letzte Bestimmung, an die wir uns so oft legen oder legen lassen müssen im Alltag. Wo das Vertrauen auf Gottes Liebe durchgehalten wird, fallen die Ketten unserer Selbsterlösungsversuche ab, ist auch alle fremde Sklaverei bald am Ende. Jesus trug ja schon unsere Fesseln und Ketten, als er verraten und verhaftet wurde.

„Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen!“ (Mt 26, 52) Petrus musste es im Garten Gethsemane wieder einstecken und dann später versuchen zu verstehen, dass seit Jesu stellvertretendem Kreuzweg Gewalt und Aufopferung als Teufelskreisläufe endgültig enttarnt sind. Sie können für uns nichts wirklich lösen an Verstrickungen und Ungerechtigkeiten. Nur der Weg der Entfeindung, der Versöhnung und Vergebung im Schatten des Kreuzes erlöst und befreit uns zu neuen Wegen – Wegen der Liebe, der in Christus gebotenen Feindes- und Nächstenliebe, der Gottes- und gesunden Eigenliebe. Immer Liebe um ihrer selbst willen; immer Gott um Gottes willen, den Menschen um des Menschen willen: nie benutzt, gezwungen, stets unverzweckt, unberechnet und wunderbar unberechenbar. Darum ist die Vernichtung der Waffen, das Zerbrechen des Schwertes, eine gute und verheißungsvolle Weise des Fastens und Verzichtens als Vorbereitung auf Gottes Zeit und Erscheinen, an Weihnachten und Ostern und an jedem Tag.

Gott ist die Liebe, und in unserem Lieben begegnen wir immer auch einem Stück von Gott. Gott ist die Liebe, und Liebe ist Beziehung, schafft eine heilsames „Zwischen“ (Buber) unter uns und gibt darin Gott selbst Raum zu lebendiger Veränderung und neuer Menschwerdung. Gott ist die Liebe, und Liebe erlaubt keine Opfer und Aufopferungen; genauso wenig erträgt sie die vereinnahmende oder missbrauchende Ausbeutung anderer, denn darin würde Gott selbst seines innersten Wesens beraubt. Liebe darf teilen und abgeben, kann aber auch dankbar nehmen. Gott ist die Liebe, und die Liebe, die am Anfang unseres Lebens bei der Zeugung stand, wird auch am Ende unseres Lebens auf uns warten und uns für immer bergen – fern aller Ketten und Schwerter.